Tisa-Preis 1993
Rüdiger Kramer

 

Rüdiger Kramer zeichnet und das ausschließlich. Wie er jede Heftigkeit einer expressionistischen Aussage vermeidet, tritt auch die subjektive Handschriftlichkeit des Zeichners zurück zugunsten einer Vorbereitung des Auftauchens eines Sachverhaltes – eines Körpers, eines Gegenstandes aus dem Weiß des Papiers. Wie das geschieht, ist jedoch nicht denkbar ohne ein jahrelanges Training der Hand und des Beobachtungsvermögens.

 

Es sind Lithografien, Kreide-, Rödel- und Bleistiftzeichnungen – Farbversuche, die Menschen in Ihrer Arbeitsumgebung oder auch in der Psychiatrie zeigen. Seit 1986 prägten der Bergbau und die Arbeit mit psychisch Kranken seine Arbeiten. Rüdiger Kramer zeichnet „statt Äpfeln lieber Menschen.“

Tisa-Preis 1993

01. Preisträger

 

Rüdiger Kramer

1953 geboren in Menden († 2017)

 

1971 – 1977 Studium der Freien Kunst bei Prof. Joseph Beuys
und Prof. Rolf Sackenheim, Düsseldorfer Kunstakademie, Meisterschüler

 

1974/75 Gasthörer an der Akademie für Angewandte Kunst Wien

 

1977/78 Lehrauftrag Freihandzeichnen, Kunstakademie Düsseldorf

 

1984 – 1988 Lehrauftrag Zeichnen, Handwerkskammer Düsseldorf

 

1985 Sonderstipendium Kultusministerium Nordrhein-Westfalen (Villa Massimo), Olevano (Italien)

 

1985/87 Graphik-Stipendien der Aldegrever-Gesellschaft, Münster

 

1986 – 2006 Arbeit mit psychisch Kranken und geistig behinderten Menschen

 

1988 – 1992 Lehrauftrag Zeichnen an der FH Dortmund, Fachbereich Design

 

 

 

Jury 1993

 

Dr. Ulrich Schumacher, Quadrat Bottrop

 

Dr. Wieland Koenig, Stadtmuseum Düsseldorf

 

Dr. Friedrich Heckmanns, Kunstmuseum Düsseldorf

 

Heinz Ritter, Vorstandsvorsitzender Tisa-Stiftung

 

Wilhelm Beermann, Kuratoriumsvorsitzender Tisa-Stiftung

„Die Zeichnung ist die Frage.“

 

Dass jene bis ins geringste Detail ersichtliche Linie in der Summe ihrer Eintragungen eben das hervorbringt, was dem oberflächlich registrierenden Blick immer entgeht, nämlich ein konkretes Ding, das Ergebnis zeichnerischen Tuns, dass also die Wirklichkeit des Abgebildeten in der Unausweichlichkeit des gerade konzentriert Hervorgebrachten sein Schwergewicht und seine Aussagefähigkeit erhält. Darin offenbart sich dann doch wieder höchste Subjektivität jenseits der Sentimentalität, die nachzuempfinden eine Zeichnung des Künstlers wohl auch zulässt.

 

So deutlich auch der inhaltliche Gegenstand mit der Eindringlichkeit unbestechlicher Objektivität sich zu erkennen gibt, als Ergebnis eines langandauernden Zeichnens an diesem Gegenstand muss der Zweck der Zeichnung in etwas anderem liegen als in der formellen Nachahmung des Vorhandenen. Ihre Besonderheit wäre damit umschrieben, dass Einfall und Ausführung eine Einheit sind und keine Korrektur im Entstehen des Blattes zugelassen ist, ihr Zweck also ein Geistiges aufzuschließen vermöge der Unmittelbarkeit des Gemachten. Bei aller Mühe des Machens wahrt die Zeichnung den Schein des Ungemachten und damit etwas, das man als Vervollkommnung der Wirklichkeit auch Schönheit nennen könnte.

 

Text: Dr. Friedrich W. Heckmanns

Ausstellung „Radierungen aus dem Bergbau und Zeichnungen aus der Psychiatrie“ ©1993/94
Städtische Galerie Dorsten

„Jeder Mensch ist ein Künstler“

 

Kunstrehabilitationsarbeit fördert das künstlerische Schaffen psychiatrischer Insassen und bemüht sich um ihre gesellschaftliche Rehabilitation. Der künstlerische Anspruch grenzt sie von der Beschäftigungstherapie und der gestaltenden Psychotherapie ab. Wie eben nicht jeder Patient die handwerkliche Begabung für den Schreinerberuf mitbringt, so sind auch nur wenige Patienten genügend begabt, um eine Künstlerlaufbahn einzuschlagen. Daher sehe ich den Hauptmotor der bildnerischen Arbeit auch psychisch kranker Menschen weniger in veränderten Bewusstseinszuständen als vielmehr in ihrem Bemühen um Kommunikation.

 

Einzelne Begabte finden aus jahrelanger Isolation mit dem gesunden, kreativen Teil ihrer Persönlichkeit diese ureigene Form der künstlerischen Mitteilung. Kunst von Außenseitern ist weniger psychopathologischer Ausdruck oder zustandsgebunden, sie ist vielmehr das Wiederfinden der Sprache, der Kommunikation mit sich selbst und der Welt.

 

„Die Linien des Lebens sind verschieden“

 

Meiner künstlerischen Arbeit mit Psychiatriepatienten und Geistigbehinderten liegt keinerlei Theoriebildung zugrunde. Wenn es denn eine Absicht gibt, so stellt sich diese zunächst als Absichtslosigkeit, einen zwanglosen Angang und in immer wieder anderen Ansätzen dar – „anything goes“, philosophiert Paul Feyerabend wider den Methodenzwang.

 

Text: Rüdiger Kramer über seine Intention und Arbeit mit psychisch kranken Menschen