Tisa-Preis 2004
Birgit Brenner

 

Eine hohe Qualität und eine sensible Menschenstudie zeichnen den Beitrag in 2004 von Birgit Brenner aus. In ihren Materialbildern, Spurenfindungen und Rauminstallationen mit expressiven Sujets, Schrift, Architektur und symbolhaften, Merksätzen, geht sie der humanen Existenz in einer inhumanen Welt nach.

 

„Angst vor Gesichtsröte“ zielt in tagebuchartigen Skizzen und Texten auf den dauernden Zwiespalt zwischen Ich-Streben und allgemeiner, spürbarer Gewalt. Birgit Brenner bezieht den eigenen Körper und die eigene seelische Verfassung in ihre serienartig aufgefächerten Arbeiten ein und macht auf soziale, kommunikative und politische Probleme in Deutschland aufmerksam.

 

Text: Jörg Loskill, WAZ Essen

Tisa-Preis 2004

03. Preisträgerin

 

Birgit Brenner

1964 geboren in Ulm

 

1985 – 1990 Kommunikationsdesign, Fachhochschule für Gestaltung Darmstadt

 

1990 – 1995 Studium an der Hochschule der Künste Berlin bei Prof. Rebecca Horn

 

1996 Meisterschülerin bei Prof. Rebecca Horn

 

1996 DAAD-Stipendium Paris

 

1997 KUNSTFOND e.V. Bonn

 

1998 Kunststiftung Baden-Württemberg

 

2001 – 2002 P.S.1-Stipendium, New York City

 

2003 Christian Karl Schmidt Förderpreis für zeitgenössische Kunst

 

2004 Kunstpreis, Tisa von der Schulenburg-Stiftung

 

Seit 2007 Professur für Installation in der Fachgruppe Kunst an der

Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

 

2019 Stipendium der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo

 

2020 Kunstpreis der Stadt Wolfsburg „Junge Stadt sieht Junge Kunst“

 

 

 

Jury 2004

 

Dr. Hans-Jürgen Schwalm, Kunsthalle Recklinghausen

 

Dr. Uwe Rüth, Skulpturenmuseum Glaskasten Marl 

 

Jörg Loskill, Kulturredakteur WAZ Essen

 

Dr. Rüdiger Fenne, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Tisa-Stiftung

Körperliche Befindlichkeiten,

Neurosen und Symptome

 

Die Tisa von der Schulenburg-Stiftung hat Birgit Brenner im Jahre 2004 den Tisa von der Schulenburg-Preis verliehen, einen Preis, der nicht nur in Gedenken der Arbeiten der verstorbenen Ordensfrau und Künstlerin vergeben wird, sondern darüber hinaus das Hauptmotiv ihres Lebenswerkes weiterführt – die Auseinandersetzung mit Menschen in ihrer Arbeits- und Lebenswelt. Schwester Paula – wie sie sich im Orden nannte – hat menschliche Leidensformen, Unterdrückung und Lebenskampf beobachtet und szenisch in den Mittelpunkt ihrer bildhauerischen und malerischen Auseinandersetzung eingebunden.

 

Die Tisa-Preisträgerin Birgit Brenner wird in Dorsten eine Thematik installieren, die sich nicht sofort und sicherlich auch nicht allen Betrachtern erschließt. Aber gerade deshalb wird sie in der Heimatstadt unserer Dorstener Schwester Paula eine Plattform finden, die sich mit ihrer künstlerischen Aussage auseinandersetzt: Die Verschiedenheit der Sichtbarmachung im Umgang mit gleichlautenden Themen ist es, die die Künstlerinnen Tisa von der Schulenburg und ihre Preisträgerin Birgit Brenner miteinander verbindet.

 

Text: Lambert Lütkenhorst

„Liebling geht es Dir gut?“
„Roman in großer Schrift“ ©2005

Semantik der Krise

 

Die Künstlerin hat eine ganz eigene Bildsprache entwickelt, die sich nicht auf ein Medium beschränkt. Anhand alltäglicher Situationen thematisiert Birgit Brenner in Szenen oder inneren Dialogen der Protagonisten allzu vertraute gesellschaftliche Ängste. So entstehen raumgreifende Installationen inszeniert aus Fotografien, Pappe, Holz und Texten, aber auch intime Zeichnungen oder Videoprojektionen. In der Gegenüberstellung von analogen und digitalen Sehmustern, von Perfektion und Do-it-yourself, von realem Leben und künstlicher Konstruktion formuliert sie Kommentare und Fragen zu aktuell virulenten Themen.

Dass der Alltag, den sie in der künstlerischen Miniatur des Psychodramas konzentriert, ebenso erfunden wie gefunden ist, versteht sich von selbst.

Alltagsinstallationen des Psychodramas

 

Birgit Brenner beschäftigt sich in ihren Installationen, Videos und Zeichnungen mit gesellschaftlichen und privaten Zuständen und der Eintönigkeit des Alltags. Ihre gesellschaftsskritischen Arbeiten kreisen um die Themen Ungerechtigkeit, Zwang, Scheitern, Glücksversprechen, Überwachung, Einsamkeit und Angst. Diese Universalthemen verdichtet sie in einfachen Bildern, um eine große Welt zu fassen zu bekommen.

 

Birgit Brenners Alltag ist der Death & Desaster-Alltag von Andy Warhol und der frühen Pop-Art. Denn dort, wo die Ereignisse – oder im Brennerschen Sinne die Gedanken und Selbstgespräche – aus dem Ruder laufen, werden sie künstlerisch relevant. Denn nur dort, wo die Ereignisse und Gedanken aus dem Ruder laufen, wo sie krude werden, schlagzeilenträchtig und melodramatisch, zum Unfall im weitesten Sinne, verdichten sie sich zu jener spröden und geradezu idiotischen Präzision, die sich dem dokumentarischen oder soziologischen Zugriff entzieht. Und damit fordern sie einfach den Versuch heraus, ihrer im ästhetischen Zugriff habhaft zu werden.

 

Text: Brigitte Werneburg
„Semantik der Krise“ © 2009 db – artmag