Tisa-Preis 2023
Katharina Reich

 

Im Jahr 2023 gab die Tisa-Stiftung Bewerberinnen und Bewerbern um den Tisa-Preis erstmals die Möglichkeit, Ihre Portfolios digital einzureichen. Das stellte die Jury vor eine besondere Herausforderung. 430 Bewerbungen wurden von Künstlerinnen und Künstlern aus dem gesamten Bundesgebiet eingereicht, deutlich mehr als bei vorherigen Ausschreibungen. Die Jury kam deshalb zu mehreren Sitzungen zusammen und wählte Katharina Reich aufgrund der qualitativ hochwertigen Präsentation ihres Werks als neue Tisa-Preisträgerin aus.

 

Katharina Reich wurde 1987 in Tjumen, Westsibirien geboren und siedelte 1996 nach Deutschland um. Sie studierte von 2012 bis 2016 bildende Kunst an der Kunsthochschule Kassel bei Prof. Norbert Rademacher, der sie zur Meisterschülerin ernannte. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Nach Auffassung der Jury „liegt die besondere künstlerische Leistung der Preisträgerin in ihrem kritischen und zeitgleich humanen Ansatz, der sich zudem in einer künstlerischen Form von großer Bandbreite äußert und in vielfältigen künstlerischen Medien verdichtet.“

Tisa-Preis 2023

09. Preisträgerin

 

Katharina Reich

1987 Geboren in Tjumen, Westsibirien

 

2010 – 2016 Studium der bildenden Kunst, Kunsthochschule Kassel, bei Prof. Norbert Radermacher (Meisterschülerin)

 

2012 Der reinste Akt, Preis der Kunsthochschule Kassel

 

2013 SIAB 5th Student International Biennial for Art, Skopje, Macedonia

 

2013 TURN HEAT POWER & LIGHT, Volksgalerie Halle/ Burg Galerie, Halle

 

2013 Intervention 2013, Regierungspräsidium Kassel

 

2013 Yes, this year it’s documenta, Kreuzberg Pavillon, Kassel

 

2013/2015 Projektförderung der Marianne Ingenwerth-Stiftung

 

2013 – 2016 Studienstiftung des deutschen Volkes

 

2014 Klasse Norbert Radermacher, Moltkerei Werkstatt Köln

 

2014 P A R C O U R S, Galerie oqbo | raum für bild wort ton, Berlin

 

2014 TAUSCHGESCHÄFT, Galerie Warte für Kunst, Kassel, Stellwerk, Stellwerk Kassel, Kassel

 

2015 Examen 2015, documenta- Halle, Kassel

 

2015 FÜNFUNDFÜNFZIG, Heinrich-von-Stephan- Reformpädagogische Gemeinschaftsschule, Berlin

 

2016 48 Stunden Neukölln, Berlin

 

2017 Offenes Atelier, Berlin

 

2018 Köstler seit 1864, Kunstverein Galerie Ganserhaus, Wasserburg am Inn

 

seit 2020 Atelierförderung, bbk und Berliner Senat

 

2022 Künstlerinnenprojekt „Goldrausch“, Berlin

 

2022 GOING PLACES, ACUD, Galerie Berlin

 

2022 Tender Hooks – Goldrausch 2022, Kommunale Galerie Berlin, Charlottenburg-Wilmersdorf Berlin

 

2022 Traffic-Orange, Kulturmühle Perwenitz e. V., Schönwalde-Glien

 

2023 Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds / NEUSTARTplus-Stipendium

 

2023 1. Preis – NEUKÖLLNER KUNSTPREIS 2023 Galerie im Saalbau, Berlin

 

2023 ZUKUNFTSVISIONEN 2023, „together forever“, Kunsthalle Görlitz, 2023

 

2023 Tisa von der Schulenburg-Preis für bildende Kunst

 

 

Artist in Residence:

2023 ZUKUNFTSVISIONEN „together forever“, Görlitz 2023

 

Jurytätigkeit:

2023 – 2024 NEUKÖLLNER KUNSTPREIS 2024, Galerie im Saalbau, Berlin

Katharina Reich ist Mitglied in der VG Bildkunst

 

 

Jury 2023

 

Prof. Dr. Ferdinand Ullrich (Juryvorsitzender): Kunstakademie Münster

 

Claudia Piepenbrock: Tisa-Preisträgerin 2020

 

Lambert Lütkenhorst: Vorstandsvorsitzender Tisa-Stiftung

 

Regina Selter: Museum am Ostwall im Dortmunder U

 

Julia Höner: Kunstmuseum Gelsenkirchen

Die Ordnung der Dinge

 

Katharina Reich sammelt Dinge, die Menschen geschaffen haben – Artefakte, die „mit Kunst und Geschick hergestellt“ wurden. Sie wurden „gemacht“ und sind nicht natürlich „geworden“. Es geht um Objekte, die eine Geschichte haben, keine besondere oder gar künstlerische Geschichte, sondern eine des alltäglichen Lebens. Ihr Sammeln ist zugleich fürsorgliche Rettung wie auch gewaltsames Entreißen. Es ist eine Rettung, weil die Dinge dem gewöhnlichen Ge- und Verbrauch und damit oft dem Untergang entzogen werden. Ein Entreißen ist es, weil die Dinge nun ohne Zusammenhang und ohne Zweck und damit nutzlos sind.

 

Die Sammlung allein ist aber noch kein Werk. Dieses entsteht erst mit der Kombination und dem Arrangement der heterogenen Gegenstände in der konkreten Ausstellungssituation. Mit dieser Entfunktionalisierung wird aber nicht nur ein bisheriger Zweck ausgelöscht. Es wird ein neuer, rein ästhetischer Zweck geschaffen. Die Dinge genügen sich selbst. Sie werden aber nicht nur gesammelt, sondern auch in eine neue Ordnung gebracht. Völlig unabhängig von ihrer praktischen Bedeutung werden sie nach Größe, Farbe, Form, Material sortiert. Diese Ordnung der Dinge bewirkt zugleich die Möglichkeit neuer Formkonstellationen, die in diesem Umwandlungsprozess eine mitunter ornamentale Schönheit offenbaren. Dabei wird der Kitsch der Häkeldecken genauso überwunden wie die Banalität der Friedhofsvasen.

Installation „Signature: Principles of Negative Space”, 2022 Foto: © Volker Wiciok

Installation „Depot – 2024″, Ausstellungsansicht
Tisa-Preis 2023: Katharina Reich, Spitzendeckenturm 2012 – fortlaufend

Foto ©Ferdinand Ullrich

Mit dieser auf rein formalen Prinzipien beruhenden neuen Ordnung wird aber auch die alte, zweckrationale Ordnung als eigentliche Unordnung entlarvt, als „fatales Ordnungssystem“, wie die Künsterlin es nennt. Die absurde Anhäufung von Dingen mit allein formaler Ähnlichkeit erscheint nun viel folgerichtiger, weil sie nicht einem eindimensionalen Zweck unterworfen ist. Sie erlangen die Freiheit der Form.

 

In Katharina Reichs Werk wird der Gegenstand nicht nur abbildhaft repräsentiert wie in einem Gemälde, sondern es ist das Ding selbst, das den Raum des Betrachters einnimmt. Die hier präsentierte Welt ist nicht lediglich eine Konstruktion, sie ist vielmehr eine Setzung. Ihre Dinge repräsentieren nicht die Außenwelt, sie sind und bleiben die Außenwelt in der Innenwelt der Kunst. Ihre Freiheit ist bedingt. Die Künstlerin scheut sich dabei nicht, einzugreifen und die Fund- und Sammelstücke auch insoweit zu bearbeiten, als dass der Verweis auf die Funktion geschwächt und die Möglichkeit der kompositorischen Einbindung ins Ganze verstärkt wird.

 

Die fortschreitende Transformation von Dingen und Zeichen der Außenwelt, vom eindimensionalen Zweck zum Formalästhetischen und weiter zur vielgestaltigen Neudeutung der Dinge, beschreibt einen Weg zu einem höheren Bewusstsein der Welt und der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Das Werk selbst ist ein fortlaufender, nicht endender Erkenntnis- und Aufklärungsprozess, sodass man bei Katharina Reich mit einem gewissen Recht von „sozialer Plastik“ sprechen kann, die den Geist der Tisa von der Schulenburg aufs Beste weiterträgt.

 

Text: Prof. Dr. Ferdinand Ullrich,  Auszüge aus der Laudatio